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Arbeiten mit Sehbehinderung: Wie Marlise Ritter ihr neues Leben meistert

Jeannine Buri
Jeannine Buri
Kurz vor ihrem 55. Geburtstag erhält Marlise Ritter die schwere Diagnose Hirntumor. Auf den ersten Schock folgt der zweite: der verletzte Sehnerv hat eine Hemianopsie ausgelöst. Seither sieht die Bernerin nur noch die Hälfte der Welt. Marlise lässt sich jedoch nicht unterkriegen und findet trotz Sehbehinderung zurück ins Arbeitsleben.

Seit gut zehn Jahren arbeitet Marlise Ritter bei Visana am Kundenempfang. Momentan ist sie in einem 40 Prozent Pensum angestellt, ein Ausbau auf 50 Prozent ist geplant.

 

Äusserlich merkt man Marlise ihre Sehbehinderung nicht an, jeder Handgriff sitzt. Doch für Marlise sieht die Welt nach ihrem Hirntumor anders aus. Ihr Blickfeld ist seit der Operation stark eingeschränkt. Grund dafür ist eine Verletzung des Sehnervs, ausgelöst durch den Tumor, was wiederum zu einer homonymen Hemianopsie geführt hat. Das heisst, bei beiden Augen fällt die linke Seite des Gesichtsfeldes weg. Diese visuelle Einschränkung wirkt sich auf jeden Lebensbereich der Bernerin aus. Sei es beim Einkaufen, beim Kochen, beim Schminken – jede Tätigkeit braucht viel mehr Zeit und Geduld als früher.

«Mir wurde der Stecker gezogen».

Kopfschmerzen als Warnsignal

Von starken Kopfschmerzen geplagt, fährt die damals 55-Jährige ins Notfallzentrum am Inselspital Bern. Zuerst findet man nichts Ernstes, Marlise wird wieder nach Hause geschickt. Als die Schmerzen auch Tage später nicht verschwinden wollen, zeigt ein MRI (Magnetic Resonance Imaging) den Verursacher: ein Hirntumor sorgt für den Sturm im Kopf. «Mir wurde der Stecker gezogen», sagt Marlise rückblickend. «Von einer Sekunde auf die nächste änderte sich einfach alles».

Willkommen zurück

Nach längerem Aufenthalt im Spital und in der Reha kehrt Marlise in ihren Alltag zurück. Doch fernab des geschützten Rahmens fällt ihr die Decke auf den Kopf. Zukunftsängste quälen sie. Wie soll sie das Leben mit einer Sehbehinderung meistern? Auf Rat der zuständigen IV-Verantwortlichen hin, macht Marlise bei SIBU (Schweizerische Fachstelle für Sehbehinderte im beruflichen Umfeld), ein Assessment. Beim Assessment klären die SIBU-Fachleute die visuelle Situation ab und suchen Wege zur beruflichen Wiedereingliederung. Marlise darf ihren Job bei Visana behalten. Die Visana als Arbeitgeberin und das ganze Empfangs-Team stärken der langjährigen Mitarbeiterin den Rücken.

«Während vieler Jahre konnten wir auf Marlise zählen. Nun kämpft sie gegen die Auswirkungen ihrer Krankheit. Tag für Tag steigert sie ihre Leistung in kleinen Schritten. Das erkennen und schätzen wir und deshalb kann sie jetzt auch auf uns zählen.»

In kleinen Schritten zum Erfolg

Für ihren Vorgesetzten Daniel Knuchel ist klar, dass sie Marlise in dieser schweren Zeit unterstützen: «Während vieler Jahre konnten wir auf Marlise zählen. Nun kämpft sie gegen die Auswirkungen ihrer Krankheit. Tag für Tag steigert sie ihre Leistung in kleinen Schritten. Das erkennen und schätzen wir und deshalb kann sie jetzt auch auf uns zählen.» Um sich an die neue Situation zu gewöhnen, arbeitete Marlise zuerst drei Stunden pro Woche und baute ihr Pensum schrittweise aus. Sie merkte jedoch schnell, dass sie ihre Arbeit auch mit dem visuellen Handicap ausführen kann. Heute arbeitet sie 40 Prozent.

«Mir geht es besser, seit Mia bei mir ist.»

Therapeutin auf Samtpfoten

Am meisten Mühe bereitet der 56-jährigen das binokulare Sehen ihrer Augen. Das bedeutet, dass ihre Augen synchron immer das Gleiche tun. Weil ihr Gesichtsfeld links komplett ausfällt, stösst sie sich manchmal an Möbelstücken oder sieht die Speisen links von ihr auf dem Teller nicht. Auch Gegenstände findet sie nicht mehr auf den ersten Blick. Was früher selbstverständlich war, braucht heute etwas länger. Das alles kostet Kraft. Umso mehr Freude macht ihr ihre Katze Mia. Die schnurrende Fellnase geniesst jede Minute mit ihrem Frauchen und spendet Trost in traurigen Momenten. «Mir geht es besser, seit Mia bei mir ist.»

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