«Die Logik macht das Gift»

Müslüm widmet sich als türkischer Immigrant unter anderem Themen wie der kulturellen Vielfalt. Im Interview geht er auf seine ganz eigene Art tiefgründig auf unsere Fragen ein, gewährt Einblick in seine Gedankengänge und erteilt Ratschläge.

Interview: Sara Steinmann Bild: Mauro Mellone

Das Leben auf der Bühne und bei Videodrehs muss anstrengend sein. Wie hältst du dich fit?

Zuerst dürfen wir uns bewusst werden, dass wir werden, was wir essen. Also sollten wir Dinge mit der meisten Sonnenenergie essen, mit dem meisten Süpervitamin. Kalorienzählen wird überschätzt, einfach hin und wieder etwas Sonnengereiftes einwerfen.

Bleibt da auch Platz für einen Döner oder ein Baklava?

Sicher. Man sollte ja nicht zu spiessig werden und sich ein Mindset aneignen, das diktatorische Formen annimmt. Gelassenheit ist das Zauberwort. Alles hat Platz, und übertreiben ist nie gut. Das Mass, die Dosis macht das Gift. Und in der Kunst ist es so: Die Logik macht das Gift. Also immer schön abstrakt bleiben.

Der Hokuspokus liegt im Fokus.

Dein Song «Süpervitamin» landete 2012 in der Hitparade. Was ist dein persönliches Süpervitamin?

Einfach «schnuufe» und sich mit all seinen Facetten akzeptieren. Maximale Präsenz in der Gegenwart – das ist meine Lebensart. Und daraus entspringt alles, was wahrhaftig ist. Ich nenne das Süpervitamin. Das Leben ist Süpervitamin. Je mehr man sich auf etwas fokussiert und alles andere ausschliesst, desto unglücklicher kann man werden. Der Hokuspokus liegt im Fokus.

Wenn du auf der Bühne stehst, musst du abliefern. Wie gehst du mit diesem mentalen Druck um?

Es geht nicht nur darum, zu lachen. Mit der Dramaturgie auf der Bühne ist es wie mit dem Wetter: Es darf nicht ständig die Sonne scheinen, es braucht auch den Regen. Manchmal ein bisschen mehr, um die Klarheit wieder zu schätzen. Manchmal donnert es ein wenig, aber der Himmel ist immer da. So ist es auch auf der Bühne: Alles passiert, du musst alles zulassen. Nur lustig zu sein, ist nicht mein Ding. Ich finde mich selbst auch nicht so lustig. Jeder Mensch sollte sich dem hingeben, was in ihm schlummert. Süpervitamin. Das Erkennen ist wichtig.

Laut Klischee fahren Türken ja gern schnelle, grosse Autos. Was fährst du?

Ich wollte nie stereotypisch sein. Manche denken, ich sei ein Klischee, aber ich habe noch nie einen Türken in einem pinken Anzug und einem Blüemlihemd gesehen. Trotzdem denken sie, ich sei ein Klischee. Im Video von «Millionero» meint man, ich sitze im Auto. Dabei bin ich der Bettler dahinter. Ich spiele mit dem Bild, und die Leute werden getäuscht. Darauf folgt die Irritation. Im Gegensatz liegt des Lebens Schatz.

Was rätst du unseren Leserinnen und Lesern, wie sie den Winter und die schwierigen Zeiten gut überstehen?

Seid euch bewusst, dass auch Informationen etwas mit euch machen. Werdet euch bewusst, dass viele Dinge, die sich auf dieser Welt abspielen, nichts mit euch zu tun haben und ihr euch nicht zwingend damit beschäftigen müsst. Entspannt euch. Lasst euch von der Natur inspirieren: Es gedeiht, es blüht, es vergeht. In der Gegenwart liegt das Süpervitamin. Das Einzige, was zählt, ist die innerste Absicht und das Wort, eins werden zu lassen und vom Herzen aus zu sprechen, nicht mit der Zunge. Wenn man mit der Zunge spricht, hört es nur das Ohr. Wenn man mit dem Herzen spricht, dann hört es das Universum. Ist keine Aussage von mir, sondern geht auf einen Sufi-Meister zurück.

Zur Person

Müslüm, eigentlich Semih Yavsaner, ist Entertainer, Komiker und Musiker. Seine Karriere begann 2008 mit Telefonscherzen im Radio. 2010 wurde er mit dem Videoclip «Erich, warum bisch du nid ehrlich?» schweizweit bekannt. 2016 erhielt er mit «Müslüm TV» seine eigene Show bei SRF 1. Nach den Alben «Süpervitamin» (2012) und «Apochalüpt» (2015) erschien am 18. November 2022 die Single «Millionero». Am 2. Dezember 2022 kommt das neue Album «Popaganda» heraus. Aktuell ist er mit seinem Stück «Müsteriüm» auf Tour. Müslüm ist in Bern aufgewachsen, wo er heute noch wohnt.

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